13. Juni 2025 von Enrico Köhler
Digitaler Euro - Technologie und Sicherheit – IT-Integration, Datenschutz und innovative Geschäftsmodelle
Im ersten Teil meines Blog-Beitrags haben wir uns mit den großen Linien des digitalen Euro beschäftigt: den regulatorischen Rahmenbedingungen, den Halteobergrenzen, den Pilotprojekten und auch mit der spannenden Frage, wie ein digitaler Euro auch offline funktionieren kann. Jetzt wird’s technisch – und das zu Recht, denn der Erfolg dieses Projekts hängt ganz wesentlich davon ab, wie solide und zukunftsfähig die technische Umsetzung gelingt. Die EZB arbeitet mit Hochdruck an einer Architektur, die nicht nur sicher und robust sein muss, sondern auch genug Spielraum lässt für Innovationen, die wir uns heute vielleicht noch gar nicht vorstellen können.
Architekturmodelle: Das Herzstück zwischen Kontrolle und Innovation
Technisch ist der digitale Euro ein Balanceakt: Er muss stabil und kontrolliert sein – schließlich ist es digitales Zentralbankgeld –, darf aber gleichzeitig nicht zu starr sein. Deshalb verfolgt die EZB einen hybriden Ansatz. Das zentrale Core Ledger, betrieben von der EZB, ist quasi das „digitale Zentralbuch“, in dem alle Transaktionen zuverlässig und in Echtzeit erfasst werden. Hier läuft die Hauptverantwortung für die Geldmenge und die Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben zusammen.
Gleichzeitig kommen sogenannte Distributed Ledger Technologien (DLT) ins Spiel, die als Ergänzung zum Core Ledger fungieren. Diese Technik erlaubt es, Zahlungen programmierbar zu machen, Smart Contracts zu nutzen und vor allem auch Offline-Zahlungen technisch zu ermöglichen. Das Besondere dabei: Im Prototyp „N€XT“ setzt die EZB auf das sogenannte UTXO-Modell (Unspent Transaction Output), das vielen aus Bitcoin bekannt ist. Vereinfacht gesagt: Zahlungen werden nicht als simple Buchung auf einem Konto dargestellt, sondern als einzelne digitale Token, die man ausgeben kann – ähnlich wie einzelne Bargeldscheine. Das hat den Vorteil, dass die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer geschützt bleibt, weil nicht der Kontostand offengelegt wird, sondern nur einzelne Transaktionen sichtbar sind.
Parallel dazu setzt die EZB auf ein Zwei-Schichten-Modell: Die Zentralbank kontrolliert das Hauptsystem, während Banken und Zahlungsdienstleister als Intermediäre die digitalen Euro-Wallets an Kunden ausgeben. Das ist nicht nur clever, sondern auch realistisch – so bleibt die Stabilität im System, und die Marktteilnehmer können ihre Stärken einbringen. Gerade im Bereich der Unternehmenszahlungen (B2B) steckt hier großes Potenzial, denn viele Unternehmen wünschen sich effizientere, automatisierte Zahlungsabläufe. Allerdings sind die derzeit diskutierten Halteobergrenzen für Wallets, meist im unteren vierstelligen Eurobereich, im Geschäftsverkehr eine Herausforderung. Die Möglichkeit, Wallets dynamisch mit Referenzkonten zu verbinden, die für größere Beträge einspringen, wird deshalb intensiv geprüft.
Außerdem steht der digitale Euro vor einem grundsätzlichen Umbruch der Zahlungsinfrastruktur. Klassische Abwicklungssysteme wie TARGET2 oder SEPA könnten durch eine API-getriebene Plattform ersetzt werden, auf der Banken eher als Dienstleister für Wallets auftreten. Das bedeutet für viele Banken, dass sie ihre Rolle neu definieren müssen – eine Herausforderung, aber auch eine große Chance, sich neu zu positionieren und im europäischen Zahlungsverkehr eine führende Rolle zu spielen.
Datenschutz: Das fragile Gleichgewicht zwischen Privatsphäre und Aufsicht
Beim digitalen Euro sind wir mitten in einem Dilemma: Einerseits wünschen sich viele Nutzerinnen und Nutzer die Anonymität, die wir vom Bargeld kennen – zumindest für kleine Beträge. Andererseits verlangt der Gesetzgeber, dass Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhindert werden. Die EZB hat das verstanden und verfolgt das Konzept der Privacy by Design.
Konkret heißt das: Offline-Zahlungen sind bis zu einem Schwellenwert anonym möglich, weil sie lokal auf sicheren Hardware-Wallets gespeichert werden und erst bei Online-Verbindung mit dem Core Ledger synchronisiert werden. Das gibt ein Gefühl von Freiheit – ohne den Schutz der Privatsphäre zu opfern.
Online gilt jedoch: Nutzerinnen und Nutzer müssen sich über ihre Bank oder einen Zahlungsdienstleister identifizieren lassen. Diese übernehmen die KYC-Prüfungen (Know Your Customer), während die EZB nur pseudonymisierte Transaktionsdaten sieht. So wird Datenschutz mit regulatorischen Pflichten in Einklang gebracht.
Wichtig ist hier die Einordnung: Vollständige Anonymität gibt es nicht umsonst und nicht unbegrenzt. EU-Geldwäschevorschriften verlangen, dass bei grenzüberschreitenden Zahlungen über 50 Euro die Identität geprüft werden muss. Das heißt: Wer größere Summen bewegt, wird auch digital erkannt. Die Privatsphäre gilt für „kleine“ alltägliche Zahlungen – und das ist schon ein großer Fortschritt.
Ein Hoffnungsträger in Sachen datenschutzfreundlicher Identifikation ist die EU-Digital-Identity-Wallet (bekannt als eIDAS 2.0), die es künftig ermöglichen soll, digitale Identitäten sicher, europaweit gültig und einfach nutzbar zu machen. Das wird vieles erleichtern – von der Kontoeröffnung bis zum täglichen Bezahlen.
Natürlich bleibt ein Restrisiko: Fachleute warnen, dass Nutzungsprofile über die Zeit trotzdem erkennbar werden können, wenn man clever Muster analysiert. Hier muss die EZB noch nachlegen – und zwar transparent und offen, denn Vertrauen ist das A und O bei einem digitalen Zahlungsmittel.
Sicherheit: Mehr als nur Technik – ein ganzheitliches Konzept
Sicherheit ist beim digitalen Euro keine Nebensache. Sie beginnt bei der Hardware: Wallets nutzen Hardware Security Modules (HSM), die privaten Schlüssel schützen und Angriffe abwehren. Darüber hinaus bereitet sich das System auf eine Zukunft mit Quantencomputern vor – mit Algorithmen, die auch diesen neuen Gefahren gewachsen sind.
Die Netzwerkinfrastruktur ist hochverfügbar und redundant ausgelegt. Die EZB führt regelmäßige Penetrationstests durch und engagiert unabhängige Experten, um Schwachstellen früh zu erkennen. Zugleich setzt sie auf Schulungen und Sensibilisierung der Nutzer, denn auch der beste technische Schutz nützt wenig, wenn Menschen unvorsichtig sind.
Die EZB hat auch die Grenzen der Technik im Blick: Das sogenannte CAP-Theorem besagt, dass in verteilten Systemen nicht gleichzeitig maximale Konsistenz, Verfügbarkeit und Fehlertoleranz möglich sind. Deshalb setzt die EZB-Prioritäten, um zum Beispiel Doppelzahlungen bei Netzwerkausfällen zu vermeiden – auch wenn das manchmal zu Einschränkungen bei der Verfügbarkeit führen kann.
Wichtig zu ergänzen ist, dass die Zentralbanken nach Störungen bei bestehenden Systemen wie TARGET2 in den vergangenen Jahren massiv in Ausfallsicherheit investiert haben. So wurde etwa das Instant Payment Settlement (TIPS) cloudbasiert und mit mehreren Backup-Standorten ausgebaut. Dezentralisierung und Zentralisierung werden also kombiniert, um das bestmögliche Sicherheitsniveau zu erreichen.
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Programmierbare Zahlungen: Ein Türöffner für die Zukunft
Der digitale Euro wird weit mehr als nur eine digitale Version unseres Bargeldes. Er ist ein Werkzeug für völlig neue Arten von Zahlungen und Geschäftsmodellen:
- Im Einzelhandel können Smart Contracts automatisch Cashback vergeben oder Kundenprogramme aktivieren – ohne dass der Kunde dafür selbst Coupons sammeln oder Apps bedienen muss. Die Zahlung „denkt mit“ und belohnt direkt.
- In der Logistik werden IoT-Sensoren die Ankunft von Waren melden und automatisch Zahlungen auslösen, was Lagerkosten senkt und den Cashflow verbessert.
- In der Industrie kann eine Maschine selbstständig Verbrauchsmaterial bestellen und bezahlen, was die Flexibilität und Effizienz steigert. Das senkt Kapitalbindungskosten und erlaubt Pay-per-Use-Modelle, bei denen Unternehmen nur für die tatsächliche Nutzung zahlen.
- Versicherungen werden schneller und fairer, wenn Zahlungen automatisiert bei Flugverspätungen oder Schäden fließen. Für Kundinnen und Kunden bedeutet das weniger Bürokratie und schnellere Hilfe.
Wichtig dabei: Die EZB macht klar, dass der digitale Euro selbst keine programmierbaren Eigenschaften haben wird, um seine Fungibilität zu sichern. Alle Automatisierungen laufen auf den Applikations- oder Intermediär-Ebenen. Das ist ein wichtiger Punkt, um den Euro als allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel zu erhalten.
IT-Integration: Wer jetzt startet, sichert sich den Vorsprung
Die Einführung des digitalen Euro erfordert Anpassungen auf vielen Ebenen: Banken und Händler müssen ihre IT-Systeme fit machen für Echtzeit-Transaktionen und Wallet-Anbindung. Apps und Webportale bekommen neue Features für digitale Euro-Zahlungen.
Sandboxen und Pilotprojekte sind der beste Weg, um praktische Erfahrungen zu sammeln und die Technik auf Herz und Nieren zu prüfen. Wichtig ist, agil zu bleiben und früh Feedback einzubauen – so verhindert man später böse Überraschungen.
Zertifizierungen wie ISO 27001 und der Einsatz von Hardware Security Modules schaffen Vertrauen und sind zugleich Voraussetzung für die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben.
Governance und Interoperabilität: Gemeinsame Spielregeln als Schlüssel
Das Digital Euro Rulebook sorgt für klare Standards und einheitliche Schnittstellen. Die EZB betreibt das Settlement, die Banken und Dienstleister kümmern sich um die Kunden. Die klare Rollenverteilung verhindert Chaos und fördert Wettbewerb.
Die Zusammenarbeit zwischen EZB, Regulierern und Industrie ist dabei essenziell. Nur so kann der digitale Euro als europäisches Gemeinschaftsprojekt funktionieren.
Europäische Souveränität: Mehr als nur Geld
Der digitale Euro ist ein strategisches Projekt zur Stärkung der europäischen digitalen Souveränität. Mit ihm reduziert Europa seine Abhängigkeit von außereuropäischen Zahlungssystemen wie Visa oder Mastercard.
Darüber hinaus könnte ein einheitliches, innovatives Zahlungssystem das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem stärken und gleichzeitig den digitalen Wandel beschleunigen.
Fazit: Die Zukunft aktiv gestalten
Der digitale Euro steht vor dem Start einer neuen Ära für den Zahlungsverkehr. Für Entscheidungsträger in Banken, Handel und Industrie heißt das: Nicht abwarten, sondern aktiv mitgestalten.
Wer heute seine IT-Architektur analysiert, Datenschutz und Sicherheit priorisiert, Pilotprojekte startet und Partnerschaften sucht, wird morgen profitieren – von Effizienzgewinnen, neuen Geschäftsmodellen und dem Vorsprung im digitalen Zahlungsverkehr.
Die Uhr tickt – Europas digitale Zukunft liegt in unseren Händen.
Wir unterstützen euch!
Der digitale Euro bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich - und ebenso große Chancen. Ob technologische Standortbestimmung, regulatorische Analyse oder Pilotprojekte: adesso unterstützt euch dabei, euch strategisch und operativ auf die neue Ära des Zahlungsverkehrs vorzubereiten. Sprecht uns an - gemeinsam gestalten wir eure digitale Zukunft.