28. Mai 2025 von Enrico Köhler
Der digitale Euro – Europas Chance, im Zahlungsverkehr wieder das Steuer in die Hand zu nehmen
Seit mehr als zwanzig Jahren begleite ich Banken, Unternehmen und öffentliche Institutionen durch die Höhen und Tiefen des Zahlungsverkehrs. Ich habe erlebt, wie SEPA die Überweisungslandschaft vereinheitlichte, wie Instant Payments neue Geschwindigkeitsstandards setzten und wie mit PSD2 der Wettbewerb im Finanzsektor neu belebt wurde. Doch was jetzt auf uns zukommt, ist anders. Der digitale Euro ist nicht einfach ein weiteres Update. Er ist der Beginn einer neuen Ära – technologisch, politisch und wirtschaftlich.
Die Europäische Zentralbank (EZB) treibt das Projekt mit Nachdruck voran. Und das hat einen guten Grund: Es geht nicht bloß um effizientere Zahlungsprozesse. Es geht um die digitale Souveränität Europas. Die Vision: Zahlungsströme sollen künftig unabhängig von außereuropäischen Tech-Giganten und geopolitischen Unsicherheiten funktionieren. Der digitale Euro könnte – wenn er klug konzipiert und konsequent umgesetzt wird – nicht nur ein Symbol, sondern ein echtes Instrument für Europas Unabhängigkeit und Innovationskraft werden.
In diesem Blog-Beitrag beleuchte ich den aktuellen Stand des Projekts, gehe auf technische und regulatorische Entwicklungen ein und zeige, warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sich strategisch vorzubereiten. Und ja – ein wenig Pragmatismus darf dabei auch nicht fehlen.
Wo stehen wir aktuell?
Im November 2023 hat die EZB offiziell die sogenannte „Vorbereitungsphase“ für den digitalen Euro eingeleitet. Sie läuft bis Oktober 2025 und umfasst technische Tests, rechtliche Klärungen sowie den Aufbau eines gemeinsamen Regelwerks. Eine endgültige Entscheidung über die Einführung wird allerdings erst nach Abschluss des europäischen Gesetzgebungsverfahrens fallen – wahrscheinlich Ende 2025. Realistisch betrachtet ist eine flächendeckende Einführung vor 2028 kaum denkbar.
Aktuell arbeitet die EZB mit mehr als 70 Partnern zusammen – darunter Banken, FinTechs, Händler, Zahlungsdienstleister und Forschungsinstitute. Ziel ist es, ein System zu schaffen, das breit akzeptiert wird und technologisch zukunftsfähig ist. Ein Mammutprojekt – aber kein unrealistisches.
Technik: Muss funktionieren – auch offline
Einer der spannendsten Aspekte ist die geplante Verfügbarkeit des digitalen Euros sowohl online als auch offline. Während wir an Online-Zahlungen längst gewöhnt sind, stellt die Offline-Funktionalität eine besondere Herausforderung dar. Und genau hier wird es interessant: Der digitale Euro soll auch dann funktionieren, wenn gerade kein Internet verfügbar ist – sei es bei einem Stromausfall, im Funkloch oder in entlegenen Regionen.
Geplant ist der Einsatz spezieller Technologien, etwa batteriebetriebene Karten mit Display oder NFC-fähige Hardware-Wallets. Diese müssen nicht nur zuverlässig sein, sondern auch hohe Sicherheits- und Datenschutzanforderungen erfüllen. Komplett unbegrenzte Offline-Zahlungen wird es voraussichtlich nicht geben – aus gutem Grund: Die Nachvollziehbarkeit und Sicherheit müssen gewährleistet bleiben. Begrenzungen bei der Anzahl oder Höhe der Offline-Transaktionen sind deshalb wahrscheinlich.
Datenschutz: Vertrauen als Voraussetzung
Wer in Europa etwas mit Geld zu tun hat, weiß: Ohne Datenschutz geht hier nichts. Und das ist auch gut so. Die EZB betont, dass beim digitalen Euro der Schutz persönlicher Daten an oberster Stelle steht – insbesondere bei Offline-Zahlungen, die ein Maß an Anonymität ermöglichen sollen, das dem von Bargeld nahekommt.
Bei Online-Zahlungen hingegen wird auf Pseudonymisierung gesetzt: Transaktionsdaten werden verarbeitet, aber nicht direkt mit Identitäten verknüpft. Gleichzeitig müssen gesetzliche Vorgaben – etwa zur Geldwäscheprävention – eingehalten werden. Der Balanceakt zwischen Privatsphäre und regulatorischer Kontrolle ist einer der heikelsten Punkte des Projekts. Es wird spannend zu sehen sein, wie diese Gratwanderung gelingt.
Halteobergrenzen: Stabilität vor Freiheit
Ein oft diskutiertes Thema sind die sogenannten Halteobergrenzen. Die Idee dahinter: Der digitale Euro soll nicht zur Konkurrenz für klassische Bankeinlagen werden. Wenn zu viele Menschen größere Summen auf digitalen Euro-Wallets parken würden, könnte das die Liquidität der Geschäftsbanken gefährden – mit allen bekannten Nebenwirkungen.
Deshalb schlägt die EZB vor, pro Person nur zwischen 1.000 und 3.000 Euro als digitales Zentralbankgeld zuzulassen. Beträge darüber hinaus sollen automatisch auf ein herkömmliches Bankkonto zurücküberwiesen werden. Noch ist nichts final beschlossen – aber klar ist: Diese Obergrenzen werden kommen. Sie sind ein zentrales Instrument zur Wahrung der Finanzstabilität.
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Integration: Der digitale Euro als Teil des Ganzen
Der digitale Euro soll kein Inselsystem werden, sondern sich nahtlos in die bestehende Zahlungsinfrastruktur einfügen. Das betrifft nicht nur SEPA und Instant Payments, sondern auch die Integration in Bank-Apps, digitale Identitätslösungen und sogar Smart Contracts.
Die EZB stellt dabei die zentrale Infrastruktur bereit, während Banken, FinTechs und technische Dienstleister die Endnutzerlösungen liefern. Dieses Zusammenspiel soll Innovation fördern, ohne bestehende Systeme komplett über Bord zu werfen. Der digitale Euro wird also nicht alles neu machen – aber vieles besser.
Regulatorik: Klarheit schaffen
Neben der technischen Ausgestaltung arbeitet die Europäische Kommission parallel an einem umfassenden Gesetzespaket. Es soll den digitalen Euro als gesetzliches Zahlungsmittel etablieren – mit wenigen Ausnahmen, z. B. für Kleinstbetriebe oder in Fällen individueller Vereinbarungen.
Geplant ist außerdem, dass der digitale Euro zinslos bleibt, um den Wettbewerb mit Bankeinlagen zu vermeiden. Auch Nutzungsgebühren sind nicht vorgesehen. Die Botschaft ist klar: Der digitale Euro soll einfach, zugänglich und inklusiv sein – ein Werkzeug für alle, nicht nur für Tech-Enthusiasten.
Branchen im Fokus: Wer profitiert?
Die Auswirkungen des digitalen Euros sind breit gefächert – und je nach Branche sehr unterschiedlich:
- Kreditinstitute könnten unter Einlagenabflüssen leiden. Gleichzeitig eröffnen sich neue Geschäftsfelder: Wallets, Identitätsdienste, programmierbare Zahlungen – alles Märkte mit Zukunft.
- Versicherer könnten Prozesse automatisieren, etwa wenn Sensoren bei Schäden automatisch Zahlungen auslösen.
- KMU und Industrie profitieren von niedrigeren Transaktionskosten, einfacherer Integration in ERP-Systeme und weniger Wechselkursrisiken bei internationalen Zahlungen.
- Das Gesundheitswesen kann Abrechnungen zwischen Kassen, Kliniken und Patienten effizienter gestalten – besonders bei grenzüberschreitender Versorgung.
- Der öffentliche Sektor könnte Sozialleistungen, Subventionen oder Gebühren direkt und transparent über digitale Wallets auszahlen – schneller, sicherer, nachvollziehbar.
Pilotprojekte: Es geht schon los
In Estland wird bereits getestet, wie Sozialleistungen digital ausgezahlt werden können. In Deutschland experimentieren Energieversorger mit Peer-to-Peer-Stromhandel zwischen Haushalten – inklusive automatisierter Abrechnung. Und in der Industrie laufen Tests, bei denen Maschinen eigenständig Zahlungen abwickeln. Das ist keine Zukunftsmusik mehr – das ist bereits Realität. Und das verändert schon jetzt Prozesse und Erwartungen.
Nachhaltigkeit: Nice to have – oder echter Hebel?
Ein Aspekt, der bislang eher unter dem Radar läuft, ist die ökologische Wirkung des digitalen Euro. Digitale Zahlungen sind fast durchweg klimafreundlicher als Bargeld: weniger Papier, weniger Transport, weniger Energie. Wenn der digitale Euro intelligent mit grünem Strom betrieben wird, könnte er einen echten Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten – ob als Nebeneffekt oder bewusstes Ziel, bleibt abzuwarten.
Europa im globalen Wettbewerb
Weltweit arbeiten Zentralbanken an digitalen Währungen. China ist mit dem digitalen Yuan schon weit vorne, auch die USA und Großbritannien testen eigene Modelle. Europa darf hier nicht den Anschluss verlieren – nicht aus Eitelkeit, sondern aus strategischer Notwendigkeit.
Denn viele Zahlungssysteme basieren heute auf außereuropäischen Infrastrukturen. Der digitale Euro ist auch eine Antwort auf diese Abhängigkeiten – und ein Baustein europäischer Handlungsfähigkeit in einer vernetzten Welt.
Beteiligung: Ohne Vertrauen kein Erfolg
Die EZB setzt bei der Umsetzung bewusst auf Beteiligung. In Workshops und Konsultationen werden Banken, Unternehmen, Verbände sowie Bürgerinnen und Bürger einbezogen. Die Steuerung erfolgt über eine High-Level Task Force – in enger Abstimmung mit der Kommission und den nationalen Zentralbanken.
Die Technik kann noch so gut sein – ohne Transparenz und Vertrauen wird es schwer. Deshalb sind Kommunikation, Partizipation und Offenheit zentrale Elemente des Projekts.
Was bleibt offen?
So vielversprechend die bisherigen Entwicklungen sind – einige zentrale Fragen bleiben:
- Wie kann eine attraktive Offline-Nutzung konkret aussehen?
- Wie lässt sich der Spagat zwischen Datenschutz und Aufsichtspflichten technisch lösen?
- Welche Halteobergrenze ist langfristig tragfähig?
- Und vor allem: Wie gewinnt man die breite Bevölkerung für ein neues Zahlungsmittel?
Hier wird sich in den kommenden Jahren zeigen, wie tragfähig die Konzepte wirklich sind.
Mein Vorschlag: Ein Fünf-Schritte-Plan für Entscheiderinnen und Entscheider
Wenn ihr jetzt überlegst, ob und wie ihr euch auf den digitalen Euro vorbereiten solltest – hier mein kompakter, praxisnaher Fahrplan:
- 1. Technologische Standortbestimmung: Wie gut sind eure Systeme aufgestellt? Wo klaffen Lücken?
- 2. Awareness schaffen: Holt euch frühzeitig alle relevanten Stakeholder ins Boot – IT, Compliance, Treasury, Produkt.
- 3. Pilotprojekte starten: Fangt klein an – beispielsweise mit Wallets oder Smart Contracts. Hauptsache, ihr startet.
- 4. Regulatorik analysieren: Was bedeutet der digitale Euro für eure Prozesse rund um Datenschutz, AML oder Risikomanagement?
- 5. Strategisch positionieren: Wollt ihr den Wandel aktiv mitgestalten – oder zuschauen, wie andere davon profitieren?
Ein Fazit
Der digitale Euro ist weit mehr als ein technisches Experiment. Er ist ein strategisches Projekt mit enormem Potenzial – für Europa, für die Wirtschaft und für jeden einzelnen von uns. Wer heute aufmerksam beobachtet, kann morgen aktiv gestalten. Und wer klug plant, verschafft sich einen echten Vorsprung.
Wir unterstützen euch!
Der digitale Euro bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich - und ebenso große Chancen. Ob technologische Standortbestimmung, regulatorische Analyse oder Pilotprojekte: adesso unterstützt euch dabei, euch strategisch und operativ auf die neue Ära des Zahlungsverkehrs vorzubereiten. Sprecht uns an - gemeinsam gestalten wir eure digitale Zukunft.