Interview

Auf dem Weg zum digitalen Euro – Die neue Innovationswelle auf dem Zahlungsverkehrsmarkt

Experten geben Einblicke

Der digitale Euro verändert den Zahlungsverkehr, fördert Innovationen und stärkt die finanzielle Souveränität Europas

von Nehir Safak-Turhan

Die Digitalisierung im Banking setzt sich stetig fort. Der Zahlungsverkehr wird hiervon nicht ausgenommen und hat mit der geplanten Einführung des digitalen Euro das Potenzial, den Zahlungsverkehrsmarkt in Europa grundlegend zu verändern. Es wäre das erste digitale Zahlungsmittel in Europa, das ähnlich wie Bargeld von den Zentralbanken ausgegeben wird.

Mit der Einführung wird das zukünftige Bezahlen in Europa neu strukturiert und geht mit der Entstehung eines digitalen Finanzökosystems einher. Dieser Schritt bildet einen wichtigen Baustein in der Stärkung der europäischen Souveränität in seiner Geldpolitik und verspricht mehr Unabhängigkeit und Resilienz. Gleichzeitig erhöht es den Wettbewerb und fördert die Innovationsdynamik in Europa. Die Europäische Zentralbank bereitet sich jetzt schon darauf vor, dass der digitale Euro nach erfolgter Zustimmung der zuständigen EU-Gremien zeitnah eingeführt wird. Innovative Technologien und kundenzentrierte Lösungen werden dabei eine wichtige Rolle spielen, um die Umsetzung und Akzeptanz zu unterstützen. In diesem Interview lassen wir die renommierten Zahlungsverkehrsexperten Christian Fink und Enrico Köhler hinter die Kulissen schauen. Welche Chancen birgt der digitale Euro? Wie können sich Banken auf den Wandel vorbereiten? Wie sieht das moderne Zahlungswesen der Zukunft aus? Fragen über Fragen, auf die unsere Experten stets Antworten parat haben.


Christian Fink…

… ist Experte für digitalen Zahlungsverkehr mit umfassender Erfahrung an der Schnittstelle von Technologie, Regulierung und Marktanforderungen. Zuletzt war er CEO der Foconis GmbH sowie zuvor Vorstand der van den Berg Unternehmensgruppe. Zentrale Stationen seiner Karriere umfassen außerdem seine Tätigkeit als Head of Payments bei NTT DATA. Als langjähriges Vorstandsmitglied im Bitkom-Arbeitskreis „Digitaler Zahlungsverkehr“ und im Frankfurt Payments Network hat er die Branche aktiv mitgeprägt. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung innovativer Zahlungslösungen und der strategischen Transformation von Zahlungsverkehrssystemen.

Christian Fink

Enrico Köhler…

… leitet als Senior Manager das Competence Center Zahlungsverkehr bei KIWI Consulting, einer Tochter der adesso-Gruppe. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Finanz-IT und begleitet Banken und Zahlungsdienstleister bei der strategischen Weiterentwicklung ihrer Zahlungsverkehrssysteme. Sein Fokus liegt auf der Umsetzung regulatorischer Anforderungen und der Harmonisierung von Zahlungsinfrastrukturen. Mit analytischer Tiefe und einem Blick für das große Ganze gestaltet er zukunftsfähige Lösungen im Spannungsfeld von Technik, Regulierung und Marktbedürfnissen.

Enrico Köhler

Nehir: Der digitale Euro markiert einen strategischen Wendepunkt im europäischen Zahlungsverkehr. Er bietet die Chance, technologische Innovationen zu fördern, die finanzielle Souveränität Europas zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit des Marktes auszubauen. Doch welche Entscheidungen müssen heute getroffen werden, um dieses Potenzial in den kommenden Jahren voll auszuschöpfen?

Christian: Der digitale Euro ist strategisch entscheidend, um die Währungssouveränität Europas in einer zunehmend digitalisierten Welt zu sichern und die Abhängigkeit von privaten, oft außereuropäischen Zahlungsanbietern zu reduzieren. Er soll ein staatlich abgesichertes, vertrauenswürdiges und effizientes digitales Zahlungsmittel für alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen im Euroraum bieten, das Bargeld ergänzt und die Finanzstabilität wahrt. Dieser digitale Euro ist als Alternative zum Bezahlen von Person zu Person (P2P), am Point of Sale (POS) und im E-Commerce konzipiert. Dies schafft die Basis für ein widerstandsfähigeres und autonomeres europäisches Zahlungsökosystem, das auch im Krisenfall funktioniert und neue Innovationsfelder im Zahlungsverkehr ermöglicht.

Enrico: Absolut – Christian bringt es sehr gut auf den Punkt. Für mich liegt die Stärke des digitalen Euro darin, dass er das Vertrauen, das wir mit Bargeld verbinden, in die digitale Welt überträgt: Verlässlichkeit, Sicherheit und Unabhängigkeit – und das für alle. Gerade Menschen, die digitalen Zahlungsmethoden bisher skeptisch gegenüberstehen, könnten dadurch erstmals einen Zugang finden. Wer sich heute strategisch aufstellt, kann morgen gezielter und schneller skalieren.

Gleichzeitig entstehen für europäische Banken und Zahlungsdienstleister neue Chancen: Sie können auf dieser Infrastruktur eigene, innovative Services aufbauen – und damit ihre Position im Wettbewerb stärken. Es geht also nicht nur um Technologie, sondern auch um digitale Selbstbestimmung. Der digitale Euro ist letztlich Europas Antwort auf die Marktmacht globaler Plattformanbieter.

Christian: Entscheidende Impulse in den nächsten Jahren werden die gesetzliche Rahmensetzung durch die EU-Kommission, das Parlament und den Rat sein. Die Durchführung des digitalen Euro setzt eine gesetzliche Grundlage voraus, wobei die entsprechende EU-Verordnung voraussichtlich Ende dieses Jahres oder Anfang des nächsten Jahres verabschiedet wird. Wichtig sind hierbei insbesondere, die Halteobergrenzen für digitale Euro, um die Finanzstabilität der Geschäftsbanken nicht zu gefährden sowie die Schnittstellen und die technische Architektur für die Einbindung der Banken und Zahlungsdienstleister. Auch die Akzeptanz und Nutzerfreundlichkeit bei Endverbrauchenden und Händlern, die stark von der Usability und den gebotenen Mehrwerten abhängen, werden maßgeblich über seinen Erfolg entscheiden.

Enrico: Richtig – und ich finde, wir müssen den digitalen Euro immer auch im Kontext anderer regulatorischer Entwicklungen sehen: PSD3, PSR, FIDA. Diese Rahmenwerke sorgen nicht nur für mehr Klarheit, sondern bringen auch dringend notwendige Standards. Für Finanzinstitute ist das eine enorme Chance zur Neuaufstellung. Und ein Punkt ist mir besonders wichtig: Datenschutz. Die Menschen wollen wissen, dass ihre Daten sicher sind. Optionen wie pseudonymisierte Zahlungen oder eine Offline-Funktionalität können hier echte Vertrauensanker sein. Wenn wir das von Anfang an mitdenken, steigert das nicht nur die Akzeptanz – es wird ein Erfolgsfaktor.

Der digitale Euro wird nicht nur als weiteres Zahlungsmittel betrachtet, sondern als strategische Infrastruktur für den europäischen Zahlungsverkehr. Enrico betont dabei die zentrale Bedeutung dieser Perspektive. Christian, du hast das Zusammenspiel mit regulatorischen Rahmenbedingungen skizziert – dieses Zusammenspiel eröffnet nicht nur Herausforderungen, sondern auch neue Chancen für Banken und Zahlungsdienstleister. So könnten etwa innovative Dienstleistungen entstehen, die Effizienz gesteigert und eine größere Unabhängigkeit von außereuropäischen Anbietern erreicht werden. Gleichzeitig erfordert die Einführung des digitalen Euro erhebliche Anpassungen in Technologie, Geschäftsmodellen und regulatorischer Compliance. Welche Chancen und Herausforderungen gehen damit für den europäischen Zahlungsverkehrsmarkt einher? Wie können sich Zahlungsverkehrsanbieter in diesem Markt positionieren?

Enrico: Der digitale Euro bringt für Zahlungsdienstleister enorme Gestaltungsmöglichkeiten. Vor allem programmierbare Zahlungen, smarte Wallets oder digitale Identitäten eröffnen neue Geschäftsmodelle. Und klar ist auch: Standardzahlfunktionen allein werden künftig kaum noch Ertrag bringen. Entscheidend wird sein, was drumherum entsteht – welche Services echten Mehrwert bieten und wie Kundenprobleme clever gelöst werden können. Die Herausforderung liegt in der Anpassung bestehender IT-Landschaften. Das wird Investitionen kosten – aber es sind Investitionen in Zukunftsfähigkeit und Relevanz.

Entscheidend ist, sich jetzt klar zu positionieren. Finanzdienstleister sollten sich fragen: Welche Rolle wollen wir im künftigen Ökosystem spielen? Entwickeln wir eigene Wallets? Suchen wir gezielt Partnerschaften mit IT-Dienstleistern? Oder konzentrieren wir uns auf bestimmte Nischen, in denen wir besonders stark sind? Wer früh handelt, verschafft sich nicht nur einen Skalierungsvorsprung – sondern gewinnt auch schneller das Vertrauen von Kundinnen und Kunden. Und genau das wird der Schlüssel im Wettbewerb: Transparenz, Datenschutz und eine spürbare Kundenzentrierung.

Christian: Enrico hat recht, dass der digitale Euro eine fundamentale Infrastruktur darstellt. Dennoch sehen ihn viele Finanzinstitute eher als zusätzlichen Aufwand, denn als tatsächliche Gelegenheit. Dabei liegt der wirkliche Mehrwert nicht allein in der Zahlungsabwicklung, die sich zu einem kostenneutralen Dienst entwickeln wird. Vielmehr eröffnen sich Perspektiven in übergeordneten Bereichen wie Smart Contracts, Mikrotransaktionen und der Schaffung vertrauenswürdiger digitaler Identitäten. Ein radikales Umdenken ist unerlässlich: Banken müssen sich vom traditionellen "Gatekeeper"-Dasein lösen und zu echten Problemlösern avancieren. Wer an überlieferten Strukturen festhält, wird Gefahr laufen, zur reinen Verwahrstelle zu degradieren, während dynamische FinTech-Akteure die wertschöpfenden Bereiche für sich erschließen. Es geht darum, Silos aktiv aufzubrechen und die Zukunft digitaler Ökosysteme proaktiv zu gestalten.

Der digitale Euro könnte mehr sein als nur ein Zahlungsmittel – er hat das Potenzial, eine neue digitale Ökosystemwelt zu ermöglichen. Enrico, du hast dieses Bild skizziert, mit Anwendungen wie Machine-to-Machine-Payments oder Smart Contracts, die völlig neue Anwendungsfälle im Zahlungsverkehr eröffnen. Christian, du hast über regulatorische Weichenstellungen gesprochen, die diese Entwicklungen überhaupt erst ermöglichen. Daraus ergeben sich nicht nur technologische Neuerungen, sondern auch bedeutende Innovationsimpulse für den gesamten Zahlungsverkehrsmarkt. Diese können Geschäftsprozesse automatisieren, neue Geschäftsmodelle fördern und die Rolle von Banken und Zahlungsdienstleistern nachhaltig verändern. Welche Innovationsimpulse können daraus für den Zahlungsverkehrsmarkt entstehen? Wie wirkt sich das auf den Bankenmarkt aus?

Christian: Der digitale Euro kann signifikante Innovationsimpulse auslösen, indem er eine neutrale, programmierbare Infrastruktur für neue Geschäftsmodelle schafft. Dabei reicht es nicht mehr aus, nur den reinen Zahlungsverkehrsvorgang zu berücksichtigen - vielmehr müssen auch Nebenleistungen, die eine Wallet- beziehungsweise eine Blockchain-Anwendung bieten kann, in den Blick genommen werden. Dies könnte die Entwicklung von „Smart Contracts“ für automatisierte, bedingte Zahlungen erleichtern oder die Integration von Identitätsmanagement Lösungen in Wallets vorantreiben - etwa durch die Anbindung an eine europäische digitale Identität (EUid). So fördert der digitale Euro nicht nur effizientere Transaktionen, sondern ermöglicht auch die Entstehung umfassenderer digitaler Dienstleistungen, die auf der Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit des digitalen Zentralbankgeldes aufbauen und den Wettbewerb stärken.

Enrico: Für mich ist der digitale Euro mehr als ein Zahlungsmittel – er ist der Türöffner für eine neue Generation digitaler Ökosysteme. Was bisher eher theoretisch klang, wird plötzlich real: Maschinen, die selbstständig Zahlungen auslösen. Rechnungen, die sich automatisch mit Zahlungen abgleichen. Smart Contracts, die Prozesse vollständig automatisieren. Spannend finde ich besonders das Thema digitale Identität. Gerade im europäischen Kontext – mit seinem hohen Datenschutzanspruch – liegt darin ein echter Wettbewerbsvorteil. Weniger Reibung, mehr Vertrauen, neue Geschäftsmodelle: Genau das ist es, was der digitale Euro ermöglichen kann.

Christian: Für den Bankenmarkt bedeutet die Einführung des digitalen Euro eine zweigeteilte Herausforderung und Chance. Einerseits könnten Banken einen Teil ihres Einlagengeschäfts verlieren, wenn Kundinnen und Kunden den digitalen Euro direkt bei der Zentralbank halten würden. Dies ist jedoch durch geplante Halteobergrenzen begrenzt. Andererseits eröffnen sich für Banken neue Geschäftsfelder als Distributoren und Anbieter von Mehrwertdiensten rund um den digitalen Euro. Sie könnten beispielsweise innovative Wallet-Lösungen entwickeln, die über reine Zahlungsfunktionen hinausgehen und neue programmierbare Geldanwendungen ermöglichen. Dies erfordert eine Anpassung der Geschäftsmodelle und Investitionen in digitale Infrastrukturen, birgt aber das Potenzial, die Relevanz der Banken im digitalen Zahlungsverkehr zu sichern und zu erhöhen.

Enrico: Klar ist: Für Banken wird das zur strategischen Bewährungsprobe. Sie müssen sich weiterentwickeln – weg vom klassischen Kontoführer, hin zum Anbieter intelligenter Services rund um Zahlungen, Identität und Daten. Dafür braucht es mehr als Technologie – es braucht Veränderungsbereitschaft. Ich bin überzeugt: Banken bringen das nötige Vertrauen mit – aber nur, wer diesen Vorsprung mit echten digitalen Mehrwerten füllt, bleibt auch in der neuen Zahlungswelt relevant.


Christian Fink und Nehir Safak-Turhan

Christian Fink und Nehir Safak-Turhan


Der digitale Euro erfordert frühzeitiges Handeln. Ihr habt betont, dass jetzt Weitsicht und Geschwindigkeit entscheidend sind. Finanzdienstleister sollten ihre Infrastruktur vorbereiten, regulatorische Entwicklungen aktiv begleiten und mögliche Geschäftsmodelle prüfen, um beim Start des digitalen Euro nicht hinterherzulaufen. Wie können sich Finanzdienstleister darauf vorbereiten? Welche Entscheidungen müssen bereits heute getroffen werden?

Enrico: Wer jetzt noch abwartet, läuft Gefahr, den Anschluss zu verpassen. Es ist an der Zeit, klare Entscheidungen zu treffen: Setzen wir auf Eigenentwicklungen oder strategische Partnerschaften? Welche Kompetenzen brauchen wir intern – technisch, regulatorisch, kommunikativ? Die IT muss künftig modular, API-fähig und flexibel sein. Gleichzeitig sollten Finanzdienstleister heute schon überlegen, wie sie regulatorische Anforderungen – von KYC bis Datenschutz – nachhaltig und effizient umsetzen können. Und ganz ehrlich: Der entscheidende Faktor wird Kommunikation sein. Wer Kundinnen, Kunden und Mitarbeitende frühzeitig mitnimmt, schafft Vertrauen – und das kann am Ende den Unterschied machen.

Christian: Enrico spricht etwas Wichtiges an, doch viele Finanzdienstleister stecken im Quartalsdenken fest, agieren als Tanker statt agil. Der digitale Euro ist eine Disruption. Sie müssen ihre IT-Architektur auf eine offene, dezentrale und interoperable Basis umstellen – weg von monolithischen Systemen. Das ist ein massiver Kulturwandel. Der Wettbewerb kommt von Tech-Giganten und agilen FinTechs, die auf programmierbare Geldströme warten. Die Kommunikation ist nur glaubwürdig, wenn sie mit Taten untermauert wird. Kundinnen und Kunden wollen fundamentale Veränderungen und digitale Souveränität, nicht nur leere Versprechen.

Wir haben jetzt viel über Infrastruktur, neue Geschäftsmodelle und strategische Chancen gesprochen. Aber letztlich entscheidet sich der Erfolg des digitalen Euro an der Nutzerakzeptanz – bei Privatkundinnen und -kunden ebenso wie bei Unternehmen. Wie gut passt der digitale Euro zu ihren Bedürfnissen? Und was muss passieren, damit er auch im Alltag überzeugt?

Christian: Auf der Privatkundenseite wird der digitale Euro eine zusätzliche, sichere und datenschutzfreundliche Zahlungsoption bieten, vergleichbar mit Bargeld im digitalen Raum. Er kann den Bedürfnissen nach Schnelligkeit, Kosteneffizienz und Zugänglichkeit bei digitalen Zahlungen gerecht werden, insbesondere für Online-Transaktionen und grenzüberschreitende Überweisungen. Durch die Bereitstellung als kostenloses Basisinstrument könnte er zudem die finanzielle Inklusion fördern. Die Akzeptanz wird jedoch maßgeblich davon abhängen, wie benutzerfreundlich die Schnittstellen gestaltet werden und welche Mehrwerte im Vergleich zu bestehenden Zahlungsmitteln geboten werden.

Auf der Firmenkundenseite bietet der digitale Euro erhebliche Potenziale durch die Möglichkeit programmierbaren Geldes. Unternehmen könnten automatisierte Zahlungsprozesse für Supply Chains oder die Abwicklung von Smart Contracts nutzen, was zu Effizienzsteigerungen und einer Reduzierung von Transaktionskosten führt. Für den Handel am Point of Sale und im E-Commerce könnte der digitale Euro eine kostengünstige und sichere Alternative zu bestehenden Zahlungssystemen darstellen. Die Herausforderung liegt hier in der notwendigen Integration in bestehende IT-Systeme und der Entwicklung spezifischer Anwendungsfälle, die einen klaren Mehrwert für Unternehmen schaffen.

Enrico: Christian hat die Relevanz des digitalen Euro sowohl für Privat- als auch für Firmenkundinnen und -kunden sehr differenziert beschrieben – gerade das Thema programmierbares Geld ist für Unternehmen ein echter Gamechanger. Ich möchte genau diesen Punkt noch einmal vertiefen: In der öffentlichen Debatte – sei es bei der EZB oder im Gesetzgebungsverfahren – liegt der Fokus bisher oft auf der Verbraucherperspektive. Dabei fordern gerade Industrie- und Wirtschaftsverbände wie der BDI oder der HDE zu Recht, den betrieblichen Einsatz stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

Denn genau dort schlummern die größten Effizienzpotenziale: Automatisierte Rechnungsabgleiche, maschinengesteuerte Zahlprozesse entlang der Supply Chain oder dynamische Zahlungsmodelle in der Logistik sind keine Zukunftsmusik – sie sind heute schon realisierbar. Der digitale Euro kann zum Katalysator für solche Anwendungen werden.

Entscheidend ist jetzt, diese Potenziale auch konkret zu heben. Das heißt: wirtschaftlich sinnvolle, skalierbare Use Cases entwickeln, die Unternehmen tatsächlich bei ihren operativen Herausforderungen helfen. Denn eines ist klar: Unternehmen denken nicht in Zahlungsmitteln, sondern in Prozessoptimierung – und genau hier kann der digitale Euro seinen größten Hebel entfalten.

Der digitale Euro bringt vieles ins Rollen – technisch, prozessual, strategisch. Was sind aus eurer Sicht die wichtigsten Unterschiede zur bisherigen Zahlungsverkehrswelt?

Enrico: Der digitale Euro ist viel mehr als nur ein weiteres Zahlungsmittel. Mit ihm entsteht erstmals eine öffentliche, europäische Infrastruktur, die vollständig API-basiert und programmierbar ist. Das verändert die Spielregeln – für alle Beteiligten. Finanzdienstleister können darauf aufbauen und Module für Offline-Zahlungen, digitale Identitäten oder automatisierte Prozesse andocken. Auch regulatorisch tut sich viel: Anforderungen wie AML oder Datenschutz werden zunehmend direkt in die Systemarchitektur integriert – also „by design“ umgesetzt.

Und nicht zuletzt: Der Markt wird sich öffnen. Neue Anbieter können schneller skalieren, alte Marktstrukturen geraten unter Druck. Für Banken bedeutet das: Die Rolle als alleiniger Zugangspunkt zu Kundinnen und Kunden ist passé. Relevanz entsteht nicht mehr automatisch durch Größe, sondern durch Innovationsfähigkeit, Vertrauen und echte Kundennähe. Wer das beherrscht, wird auch im neuen Zahlungsökosystem bestehen.

Und wenn wir über diese neue technologische Grundlage sprechen, lohnt sich natürlich auch ein genauer Blick auf die Architektur selbst – denn die unterscheidet sich fundamental von dem, was wir heute im Zahlungsverkehr kennen. Christian, wie siehst du das – was macht die technische Umsetzung des digitalen Euro so besonders?

Christian: Eine entscheidende technische Besonderheit des digitalen Euro ist, dass er nicht auf bestehende, private Zahlungsinfrastrukturen wie SWIFT, TIPS oder EBA-Clearing aufbaut. Stattdessen setzt das System auf eine eigene, dedizierte Architektur. Kernstück dieser neuen Infrastruktur ist die Digital Euro Service Plattform (DESP), die als zentrale Kommunikationsdrehscheibe fungiert. Die DESP kommuniziert direkt über APIs (Application Programming Interfaces) mit den Wallets der Nutzer, die von Banken oder Zahlungsdienstleistern angeboten werden. Dies ermöglicht einen direkten und effizienten Datenaustausch und macht eine zentrale Settlement-Infrastruktur oder andere zwischengeschaltete Netze überflüssig.

Enrico: Genau – das ist ein echter Bruch mit dem bisherigen Modell. Der direkte Austausch zwischen Wallets und der neuen Infrastruktur schafft eine Art Echtzeit-Zahlungsschicht, auf der ganz neue Geschäftsmodelle möglich werden. Wir sprechen hier nicht mehr nur über Zahlungsabwicklung – die Infrastruktur selbst wird zum Teil des digitalen Wertschöpfungsmodells. Und das hat Folgen: Banken müssen ihre Backend-Prozesse neu denken, stärker auf API-Kommunikation setzen und sich insgesamt flexibler aufstellen. Für mich ist klar: Wer den digitalen Euro nur als zusätzliche Zahlart sieht, unterschätzt seinen strategischen Impact. Er verändert nicht nur das Wie des Bezahlens – sondern auch das Wer und Warum im Zahlungsverkehr.

Wenn wir das jetzt zusammenfassen, zeigt sich: Der digitale Euro verändert nicht nur Technik und Prozesse – er stellt auch grundsätzliche Fragen an die Rolle der Banken im Ökosystem. Christian, du hast das in unserer Vorbereitung sehr treffend formuliert – magst du das hier noch einmal auf den Punkt bringen?

Christian: Und genau da liegt für mich auch der Kern der strategischen Herausforderung: Wenn wir das alles ernst nehmen – neue Infrastrukturen, veränderte Rollenverteilungen, direkter Zugang der Zentralbank zu Bürgerinnen und Bürgern. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob der digitale Euro nicht auch eine existenzielle Bedrohung für das klassische Zahlungsverkehrsgeschäft der Banken werden kann.

Vielen Dank euch beiden. Ich finde, das war ein spannender und ehrlicher Austausch. Wir haben gesehen: Der digitale Euro wird nicht einfach ein weiteres Zahlungsmittel. Er verändert die Spielregeln – technisch, regulatorisch und strategisch. Christian, deine These bringt es auf den Punkt: Ja, es gibt Risiken für die Banken, aber auch enorme Chancen. Und Enrico, du hast gezeigt, wie wichtig es ist, diese Entwicklung aktiv mitzugestalten – nicht nur technisch, sondern auch in der Kommunikation mit Kunden und Partnern.

Ich freue mich, wenn wir diesen Dialog fortsetzen, denn der Weg zum digitalen Euro ist definitiv kein Sprint, sondern ein Marathon. Und umso wichtiger ist es, jetzt die Weichen richtig zu stellen.


Blog-Serie

Der digitale Euro – Europas neue Chance im Zahlungsverkehr

Der digitale Euro kommt – und mit ihm weitreichende Chancen und Herausforderungen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. In unserer dreiteiligen Blogserie beleuchten wir, warum Europa jetzt das Steuer im Zahlungsverkehr wieder selbst in die Hand nehmen muss, wie technologische und regulatorische Aspekte gestaltet werden können und welche Erfolgsstrategien Unternehmen jetzt kennen sollten.


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