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Über Netto-Auftragsvolumen und Schwellenwerte

Um euch den Begriff des Schwellenwertes näherzubringen, muss ich zunächst das Netto-Auftragsvolumen näher beschreiben. Das Netto-Auftragsvolumen ist der geschätzte Auftrags- beziehungsweise Vertragswert ohne Umsatzsteuer. Bei der Schätzung des Volumens werden die maximale Laufzeit und alle Optionen einbezogen – so zählen zum Beispiel bei Rahmenverträgen die Summe aller Lose und die optionalen Laufzeitverlängerungen. Die Auftraggeber können also nicht, um Zeit und Kosten bei der Ausschreibung einzusparen, durch eine Stückelung in kleinere Lose kleinere Auftragsvolumen „erschummeln“.

Der Schwellenwert legt die Schwelle für das Netto-Auftragsvolumen fest, ab der die Vergabeordnungen greifen. Wenn also das Netto-Auftragsvolumen den Schwellenwert erreicht oder übersteigt, fällt der öffentliche Auftrag unter die Vergabeordnungen. Solche Aufträge müssen EU-weit ausgeschrieben werden. Das heißt, die Ausschreibung unterliegt strengeren Gesetzen und längeren Fristen. Sie ist somit finanziell und zeitlich aufwendiger. Wird hingegen das Netto-Auftragsvolumen niedriger geschätzt, so kann national ausgeschrieben werden. Dafür gelten dann unterschiedliche Regeln der einzelnen Bundesländer.

Wo kommen die Schwellenwerte her und wer legt sie fest? Ich erkläre es euch.

Ich verspreche euch, dass dies nun der komplizierteste Satz in diesem Blog-Beitrag ist: Die EU-Kommission überprüft die Schwellenwerte für Vergabeverfahren in der EU alle zwei Jahre auf Übereinstimmung mit dem einzigen rechtsverbindlichen „Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen“ (Government Procurement Agreement, kurz: GPA) der Welthandelsorganisation (kurz: WHO) und veröffentlicht diese im Amtsblatt der EU. Dabei hat die EU-Kommission keine freie Entscheidung. Denn es gibt eine festgelegte mathematische Berechnung. Im GPA hat die WHO eine künstliche Währung als Mischung aus US-Dollar, Euro, Pfund Sterling und Yen definiert. Da die Währungen Kursschwankungen unterliegen, muss die EU-Kommission alle zwei Jahre die Schwellenwerte anpassen. Es steht den Mitgliedsstaaten der EU frei, niedrigere und somit strengere Werte festzulegen. Deutschland macht allerdings keinen Gebrauch davon.

Neue Schwellenwerte für 2022 und 2023

Es wird zwischen drei Schwellenwerten für Auftraggeber unterschieden und darüber, ab wann diese EU-weit ausschreiben müssen.

Der niedrigste Schwellenwert gilt für obere und oberste Bundesbehörden, wie beispielsweise unser Kunde das Bundesverwaltungsamt. Diese Behörden müssen ab dem Schwellenwert von 140.000 Euro EU-weit ausschreiben. Der höchste Schwellenwert mit 431.000 Euro gilt für den Sektorenbereich sowie die Behörden der Verteidigung und Sicherheit. Zum Sektorenbereich zählt zum Beispiel unser Kunde die Deutsche Bahn oder Kunden der zahlreichen Stadtwerke und der vier Stromnetzbetreiber. Für alle anderen Behörden gilt der Schwellenwert von 215.000 Euro.


Alle zwei Jahre wurden aufgrund der Euro-Kursschwankungen die Schwellenwerte angepasst.

Rechtliche Bestimmungen für nationale Vergaben und EU-weite Verfahren

Je nach Verfahren ändern sich für uns im Proposal Management die Spielregeln im Wettbewerb. Oberhalb der Schwellenwerte liegen die EU-weiten Verfahren. Hier gilt die Vergabeverordnung (VgV), die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) oder die Sektorenverordnung (SektVO). Die Bekanntmachungen von diesen Ausschreibungen sind im Tenders Electronic Daily (TED) unter https://ted.europa.eu zu finden.

Unterhalb der Schwellenwerte liegen die nationalen Vergaben. Hier gibt es verschiedene nationale Regeln. Neu und von vielen Bundesländern übernommen ist die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). Wenige Bundesländer sind noch bei der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A). Mit dem Portal Service.Bund.de gibt es einen zentralen Zugang zu den elektronischen Ausschreibungen und Stellenangeboten der Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung und zu den Behörden und Institutionen der Bundesverwaltung.

Ausschreibungen sind für Bieter und Auftraggeber aufwendig und daher kostspielig. Damit der Aufwand kleiner als der Auftragswert bleibt, gibt es für kleine Aufträge die kostenminimierende Regel der freihändigen Vergabe. Bei der freihändigen Vergabe darf der Auftraggeber sich Angebote von mindestens drei ihm bekannten Bietern einholen, ohne dass weitere Bieter hier die Möglichkeit erhalten, am Wettbewerb teilzunehmen. Unser engagierter Vertrieb sorgt hier dafür, dass adesso zur Angebotsabgabe aufgefordert wird. Am Ende vergibt der Auftraggeber den Auftrag an den Bieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot. Denn bei einem Angebot wird das Verhältnis von Preis und Leistung berücksichtigt, damit auch die Qualität entscheidet. Somit muss das wirtschaftlichste Angebot nicht zwingend das preislich niedrigste Angebot sein.

Fazit

Schon anhand der Art der Ausschreibung und des zugehörigen Schwellenwertes können wir das Netto-Auftragsvolumen grob abschätzen. Die nationalen Vergaben beginnen nämlich mit den freihändigen Vergaben im niedrigen fünfstelligen Bereich. Bei EU-weiten Verfahren hingegen bewegen wir uns automatisch in Projekten mit mindestens sechsstelligem Umsatz. Uns im Proposal Management liegen oberhalb vom Schwellenwert – also bei EU-weiten Verfahren – aufgrund der strengeren Gesetze zahlreiche Anforderungen und Formblätter zur Bearbeitung vor. Durch diese wird der administrative Aufwand in der Angebotserstellung groß. Schreibt hingegen der Auftraggeber unterhalb vom Schwellenwert also mit niedrig geschätztem Netto-Auftragsvolumen aus, ist für uns zwar der administrative Aufwand gering, aber nicht unser Einsatz zur Erfüllung der Kundenwünsche trotz kleiner Budgets. Denn adesso bietet jedem Auftraggeber mit dem passenden Angebot die beste Leistung.

Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienenen Blog-Beiträgen.

Bild Marcel Penstorf

Autor Marcel Penstorf

Marcel Penstorf ist seit mehreren Jahren für adesso als Proposal Manager tätig. Sein Arbeitsschwerpunkt bildet hierbei die Unterstützung der Angebotsprozesse in den Bereichen Public und Data & Analytics. Darüber hinaus beschäftigt er sich auch im Ausschreibungssupport intensiv mit Vergabeportalen und dem Vergaberecht.

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