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Seit dem Frühjahr hat die Bundesregierung umfangreiche Entlastungspakete in Höhe von insgesamt 300 Milliarden Euro geschnürt. In unserem vergangenen Blog-Beitrag skizzierten wir bereits eines der Entlastungspakete rund um den Abwehrschirm, der einen Vorschlag zur Strom-, Gas- und Wärmepreisbremse umfasste. Nun hat das Kabinett am 25.11.2022 im Umlaufverfahren die Rahmenbedingungen für den Gesetzentwurf der Preisbremsen geschaffen. Ab März 2023 sollen sie aktiv greifen, rückwirkend für Januar und Februar 2023 gelten und im April 2024 auslaufen. Neu ist der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Strompreisbremse, die dazu beitragen soll, dass die Stromkosten insgesamt sinken.

Wie funktioniert die Strompreisbremse genau?

Der Strompreis für private Verbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine Unternehmen wird bei 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Dies gilt für den Basisbedarf von 80 Prozent des historischen Verbrauchs – in der Regel gemessen am Vorjahr. Für den Verbrauch, der über den Basisbedarf von 80 Prozent hinausgeht, muss weiterhin der aktuell reguläre Marktpreis gezahlt werden.

Zur Einordnung: Laut dem Vergleichsportal Verivox zahlen Endkundinnen und -kunden im Monatsdurchschnitt einen Strompreis von 48,16 Cent pro Kilowattstunde (November 2022). Im November 2021 waren es noch 34,79 Cent, im November 2020 sogar noch weniger (28,77 Cent). Die Strompreisdeckelung gilt für den Basisbedarf von 80 Prozent des historischen Verbrauchs – in der Regel gemessen am Vorjahr. Für den Verbrauch, der darüber hinausgeht, muss dann der reguläre Marktpreis gezahlt werden. Für mittlere und große Unternehmen mit mehr als 30.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch liegt der Deckel bei 13 Cent pro Kilowattstunde (Netto-Arbeitspreis) für 70 Prozent des historischen Verbrauchs – in der Regel gemessen am Vorjahr. Auch sie zahlen für den darüberliegenden Verbrauch den regulären Marktpreis. Laut der BDEW-Strompreisanalyse vom Juli 2022 stieg der Strompreis für die Industrie auf 40,05 Cent pro Kilowattstunde. 2020 lag dieser noch bei 17,76 Cent pro Kilowattstunde.

Wer soll das Ganze überhaupt finanzieren?

Die Entlastung der Haushalte und der Industrie durch die Strompreisbremse wird über die Abschöpfung von sogenannten Zufallsgewinnen (Überschusserlöse) im Strommarkt refinanziert. Die aktuell hohen Strompreise, die momentan zu sehr hohen Zufallsgewinnen führen, resultieren aus dem Strommarktdesign. Nach diesem Design bestimmt sich für alle Stromerzeugungsarten der Preis nach dem für die aktuelle Stromerzeugung benötigten Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten („Merit-Order-Effekt“). Dies sind aktuell Gaskraftwerke, deren Grenzkosten von den stark gestiegenen Gaspreisen abhängen. Für alle anderen Stromerzeugungsarten haben sich hingegen die Produktionskosten nicht erhöht, was zur Folge hat, dass gegenwärtig zum ganz überwiegenden Teil unerwartete Mehreinnahmen („Zufallsgewinne“) erzielt werden. Durch die Strompreisbremse werden solche sehr hohen Zufallsgewinne für eine begrenzte Zeit abgeschöpft und an Haushalte bzw. Unternehmen umverteilt. Insbesondere Produzenten von regenerativer Energie haben zuletzt von den hohen Preisen an der Börse profitiert.

Die Abschöpfung erfolgte ab dem 01.12.2022. Die Laufzeit der Abschöpfung ist zunächst bis zum 30.06.2023 befristet, kann aber zu einem späteren Zeitpunkt durch Rechtsverordnung verlängert werden, höchstens jedoch bis zum 30.04.2024.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Auch wenn es vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) Lob gibt, da von der Strompreisbremse auch energieintensive kleinere Handwerksbetriebe profitieren, kritisiert die Umweltorganisation Greenpeace das Vorhaben. Sie sieht durch die Beschlüsse eine künstliche Verbilligung von Energie und ein Versäumnis, dafür zu sorgen, dass die Abhängigkeit von fossilen Energien künftig sinkt.

Da die Strompreisbremse durch Abschöpfung von Zufallsgewinnen finanziert werden soll, sehen Wind , Solar- und Bioenergieerzeuger darin ihre Existenzgrundlage bedroht und befürchten, dass dringend nötige Investitionen in die Energiewende zurückgehalten werden. Denn die Abschöpfung soll unter anderem anhand der Preise am Spotmarkt, auf dem kurzfristig lieferbarer Strom gehandelt wird, berechnet werden. Die Spotmarktpreise liegen aber häufig deutlich höher als die vereinbarten Preise von Betreiber und Verkäufer. Dies hat zur Folge, dass durch die Bundesregierung höhere Erlöse abgeschöpft als tatsächlich erwirtschaftet werden. Die Abschöpfung entzieht den betreffenden Unternehmen einen Großteil ihrer Liquidität, die für die notwendigen Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien gebraucht wird.

Die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) sieht die fehleranfälligen Mechanismen zur Abschöpfung von Zufallsgewinnen als Risiko für gravierende Verwerfungen in der Erneuerbaren-Branche, da die geplanten Eingriffe in bestehende Vermarktungs- und Geschäftsmodelle bereits jetzt für massive Verunsicherung und Stornierungen von Projekten sorgen. Laut der Präsidentin des BEE rechnen 92 Prozent der Projektierer von PV-Anlagen außerdem damit, dass ihre Projekte mit der angekündigten Abschöpfung unrentabel werden.

Fazit

Mit der Strompreisbremse als Teil des 300-Milliarden-Euro-Abwehrschirms versucht die Bundesregierung die steigenden Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland abzufangen. Auch wenn die Strompreisbremse bei Single- und Familienhaushalten laut dem Bundesjustizminister zu Entlastungen von mehreren hundert Euro im Jahr führt, hagelt es gleichzeitig Kritik aus der Erneuerbaren-Branche. Denn sollte dieser Abschöpfungsmechanismus so eingeführt werden wie beschrieben, ist damit zu rechnen, dass der weitere Ausbau der Erneuerbaren ins Stocken geraten könnte.

Außerdem bleibt nach einem Gutachten des Hamburger Energieversorgers Lichtblick abzuwarten, ob die Strompreisbremse tatsächlich umgesetzt wird, da diese verfassungswidrig sein könnte. Demnach verstößt der Gesetzentwurf gegen das EU-Recht und verletzt die Eigentumsgarantie. Viele Expertinnen und Experten rechnen mit einer Klagewelle gegen die Strompreisbremse. Wir halten euch auf dem Laufenden.

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Autor Stephen Lorenzen

Stephen Lorenzen ist Managing Consultant bei adesso und seit fast fünf Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Er versteht sich als pragmatischer und interdisziplinärer Allround-Berater mit mehrjähriger Berufserfahrung in den Bereichen Innovationsmanagement, Requirements Engineering sowie klassischem und agilem Projektmanagement.

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Autor Lars Zimmermann

Lars Zimmermann ist Senior Consultant bei adesso und seit knapp zehn Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte bildeten hierbei Prozesse der Abrechnung, des Kontokorrents und der Tarifierung. Darüber hinaus beschäftigt er sich intensiv mit dem Wettbewerb und der Regulierung in der Energiewirtschaft.

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Autor Maximilian Hammes

Maximilian Hammes ist Consultant in der Line of Business Utilities bei adesso mit den Schwerpunkten Data Analytics und Prozessmanagement. Als Projektleiter und Requirements Engineer unterstützt er Kunden bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten.

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Schlagwörter:

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