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Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz, Krankenhaus 4.0 - diese Schlagworte begegnen uns derzeit immer wieder, wenn es um die Zukunft der medizinischen Versorgung geht. Darüber hinaus sehen sich Krankenhäuser aktuell mit einer Vielzahl weiterer Herausforderungen konfrontiert. Die Sicherstellung der zukünftigen medizinischen Versorgung scheint zunehmend gefährdet und wird in der Öffentlichkeit intensiver denn je diskutiert. Warum gerade in diesem Zusammenhang die Digitalisierung noch stärker in den Fokus rücken sollte und welche Chancen sich daraus ergeben, möchte ich in diesem Blog-Beitrag beleuchten.

Vor welchen Herausforderungen stehen Krankenhäuser aktuell?

Die aktuellen Herausforderungen im Krankenhaussektor sind offensichtlich vielfältig. Dies sind nur einige Beispiele für Aspekte, die derzeit intensiv diskutiert werden.

Aus Sicht des medizinischen Personals führt insbesondere der zunehmende Dokumentationsaufwand zu erheblicher Frustration. Formulare, Berichte und Verwaltungsaufgaben nehmen einen erheblichen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Stationsärztin an manchen Tagen mehr Zeit mit dem Schreiben von Entlassungsberichten oder der Suche nach dem dringend benötigten Faxbefund (!) aus der Hausarztpraxis verbracht habe als mit den Patienten selbst. So sieht leider immer noch der Alltag in vielen deutschen Krankenhäusern aus. Dies bestätigen auch die Ergebnisse einer bundesweiten Mitgliederbefragung des Marburger Bundes aus dem Jahr 2012: Demnach verbringt das ärztliche Personal im Durchschnitt rund drei Stunden und damit fast 40 Prozent seiner täglichen Arbeitszeit mit administrativen Tätigkeiten. Befragungen des Pflegepersonals ergaben einen nur unwesentlich geringeren Dokumentationsanteil.

Die Pandemie hat die Schwächen des Gesundheitssystems deutlich gemacht und die Angst vor einem Zusammenbruch des Systems verstärkt. Trotz der im weltweiten Vergleich hohen Gesundheitsausgaben schreiben laut Krankenhaus Rating Report 2023 die meisten Krankenhäuser rote Zahlen und die Zahl der insolvenzgefährdeten Kliniken steigt weiter.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung? Wo sind Hürden?

Somit stehen Krankenhäuser derzeit vor einer Reihe von Herausforderungen und die Situation ist insgesamt angespannt. Die Digitalisierung bietet gerade in diesen Zeiten große Chancen für positive Veränderungen und eine Entlastung der Krankenhäuser. Leider schreitet diese nur schleppend voran und der Abstand zur inzwischen selbstverständlichen Digitalisierung unseres Alltags wird immer größer. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich weit hinterher - insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel Dänemark, wo bereits vor über 20 Jahren eine erste nationale E-Health-Strategie definiert wurde. Das Krankenhauszukunftsgesetz von 2020 mit der Bereitstellung finanzieller Mittel zur Förderung der Digitalisierung und aktuelle zentrale Gesetzesinitiativen geben wichtige Impulse und sollen dem Investitionsstau der Krankenhäuser entgegenwirken. Laut einer gemeinsamen Umfrage von Bitkom und Hartmannbund fordern auch 2022 zwei Drittel der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland mehr Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Gleichzeitig kritisieren aber viele Krankenhäuser die Umsetzung, wie zuletzt auf dem Kongress „Digitalforum Gesundheit 2024“ in Berlin:

  • „Die Anwendenden stehen nicht im Mittelpunkt.“
  • „Schlechte analoge Prozesse werden digitalisiert und dadurch keineswegs besser, denn ein schlechter Prozess bleibt auch digitalisiert ein schlechter Prozess.“
  • „Wir haben nun viele kleine Insellösungen, die nicht miteinander funktionieren.“

Das sind Einschätzungen, die ich dort von Fachleuten aus der Ärzteschaft und den IT-Abteilungen der Krankenhäuser immer wieder gehört habe. Statt die erhoffte Entlastung für das Fachpersonal zu schaffen, führen die Digitalisierungsbestrebungen in der subjektiven Wahrnehmung eher zu einem Mehraufwand und gestalten sich nicht anwenderfreundlich. Immer wieder wird von Akzeptanzproblemen seitens des Personals berichtet, da sich bisherige Routinen ändern, neue Abläufe erlernt werden müssen oder der Nutzen der Veränderungen einfach nicht ersichtlich ist.

Wie kann man Digitalisierungsprozesse im Krankenhaus denn nun besser gestalten?

  • Investition in einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz statt in Insellösungen
  • Prozessanalyse und -optimierung vor entsprechender Digitalisierung
  • Erarbeitung einer krankenhausindividuellen Digitalisierungsstrategie inklusive kokreativer Anpassung von Lösungen mit den jeweiligen Stakeholdern (zum Beispiel ärztliches Personal und Pflegende)
  • Frühzeitige Einbindung des medizinischen Fachpersonals im engen Austausch mit IT-Experten sowohl in der Planungs- als auch in der Umsetzungsphase, inklusive entsprechender Schulungen und Stärkung der digitalen Kompetenz
  • Transparente Kommunikation der Notwendigkeit von Veränderungen
  • Einfache und nutzerfreundliche Bedienbarkeit digitaler Tools unter Einbeziehung von UX/UI-Expertise
  • Überarbeitung und regelmäßige Überprüfung von IT-Sicherheitskonzepten, um auf mögliche Cyber-Angriffe vorbereitet zu sein und Prozessstörungen und Ausfallzeiten zu minimieren, inklusive Steigerung der Awareness

Aktuelle Kernthemen: Interoperabilität, Plattformen und Cloud-Lösungen

Häufig stößt die Verfügbarkeit medizinischer Daten und die Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren im Gesundheitswesen an ihre Grenzen, weil die Systeme nicht interoperabel sind. Auch Doppeldokumentationen im Versorgungsalltag können auf interne Interoperabilitätsprobleme zurückzuführen sein.

  • Interoperabilitätsplattformen (siehe auch adesso Health Stack) werden deshalb derzeit als „Gamechanger“ innerhalb der oft undurchsichtigen IT-Infrastruktur von Krankenhäusern angesehen. Diese Infrastruktur besteht häufig aus zahlreichen Subsystemen, individuellen Eigenentwicklungen und proprietärer Software aus verschiedenen Quellen.
  • Übergeordnetes Ziel ist es, den Datenaustausch über IT-Systeme und Sektoren hinweg zu ermöglichen, was auch im Rahmen der Telematikinfrastruktur (TI) verfolgt wird. Die gematik GmbH fungiert dabei als Koordinierungsstelle für Interoperabilität und arbeitet eng mit den Expertinnen und Experten des INTEROP Councils zusammen.
  • Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, dass jedes Krankenhaus auch den internen Informationsaustausch über Schnittstellen hinweg harmonisiert, zum Beispiel über solche Datenplattformen, auf denen alle Informationen einer Klinik zusammengeführt werden. Diese Plattformen bilden zugleich die Grundlage für den sinnvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), die auf der Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Daten basiert.
  • Cloudbasierte Informationssysteme bieten in diesem Zusammenhang erhebliche Vorteile und können mit dem aktuellen Entwurf des Digitalisierungsgesetzes nun auch im Gesundheitswesen eingesetzt werden.
  • Für die weitere digitale Nutzung ist der standardisierte Austausch syntaktisch und semantisch eindeutiger medizinischer Daten von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Grund hat die vom BMBF geförderte Medizininformatik-Initiative (MII) ein standardisiertes elektronisches Austausch- und Nutzungsformat (MII-Kerndatensatz im HL7-Standard FHIR) für diese Daten entwickelt - ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer effizienten, interoperablen und sicheren Gesundheitsversorgung im digitalen Zeitalter.

Das Krankenhaus 4.0 der Zukunft und Künstliche Intelligenz (KI) – Chancen für eine bessere Medizin?

KI ist derzeit über alle Branchen hinweg ein hochbrisantes Thema und wird von unserem GenAI-Team auch hier im adesso Blog regelmäßig beleuchtet. Angesichts der rasanten Fortschritte in der KI wird erwartet, dass sie insbesondere das Gesundheitswesen grundlegend verändern wird. Wir stehen damit am Beginn einer neuen Ära der Medizin. Häufig wird in diesem Zusammenhang auch vom "Krankenhaus 4.0" gesprochen. Dieses ist gekennzeichnet durch Smart Health - also die intelligente Vernetzung von medizinischem Personal und den Patientinnen und Patienten unter Einbeziehung von tragbaren Geräten sowie Sensoren, personalisierter Medizin und eben dem verstärkten Einsatz von KI.

Diese Entwicklungen eröffnen zahlreiche zukünftige Anwendungsmöglichkeiten für KI im Krankenhaus, wie etwa:

  • Klinische Entscheidungsunterstützungssysteme für medizinisches Personal, einschließlich Notfallmanagementsystemen
  • KI-gestützte Auswertung bildgebender Diagnostik, pathologischer und dermatologischer Befunde durch Muster- und Anomalieerkennung
  • Personalisierte Medizin, zum Beispiel unter Einbeziehung digitaler Zwillinge und genetischer Daten
  • Automatisierte Zusammenführung von Informationen zur Generierung von Entlassbriefen durch generative KI/Natural Language Processing
  • KI-unterstützte Operationsroboter zur Verbesserung der Präzision bei komplexen Eingriffen
  • Prädiktive Analysen und Risikoeinschätzung von Erkrankungen ( beispielsweise für die poststationäre Weiterbehandlung, das postoperative Management oder die Früherkennung des Delirrisikos)
  • KI-Einsatz für administrative Aufgaben und Ressourcenmanagement:
    • Kodierung, Controlling, Logistik, Personal-/Dienstplanung, OP-Planung, Prognose von Patientenströmen und Bettenplanung, Optimierung von Krankenhausprozesse
  • Einsatz von Predictive Maintenance in der Medizintechnik zur Vorhersage von Wartungsbedarf und Minimierung von Ausfallzeiten

Die tatsächliche Integration von KI in Krankenhäuser steckt noch in den Kinderschuhen. Obwohl zahlreiche KI-Startups auf den Gesundheitsmarkt drängen, mangelt es vielen Anbietern noch an randomisierten kontrollierten Studien. Dennoch erweist sich KI bereits heute in einigen medizinischen Bereichen als leistungsfähiger als der Mensch. Die Komplexität, das Angebot und die Einsatzmöglichkeiten zu überblicken, nimmt stetig zu.

Der kritischen Bewertung von Qualität, Nutzen und Grenzen der Einsatzmöglichkeiten von KI in der Patientenversorgung wird zukünftig eine wichtige Bedeutung zukommen. Im Versorgungskontext handelt es sich bei vielen KI-Anwendungen um Medizinprodukte, die zunächst entsprechend ihrer Risikoklasse eingestuft und geprüft werden müssen. Die praktikable Integration von KI-Anwendungen in bestehende Prozesse und IT-Infrastrukturen stellt eine große Herausforderung dar. Dabei sind sowohl rechtliche als auch ethisch-moralische Aspekte zu berücksichtigen. Der kürzlich vom Europäischen Parlament verabschiedete „AI-Act“ stellt dabei einen ersten Rechtsrahmen zur Regulierung von KI für Europa dar.

Trotz der Komplexität der Herausforderungen überwiegen die Chancen eines zukünftigen Einsatzes von KI in der Medizin. Routinearbeiten könnten wegfallen und Therapien optimiert werden. Dabei soll KI keinesfalls den Menschen ersetzen. Vielmehr sollte KI als Werkzeug verstanden werden, das Ärztinnen und Ärzte verantwortungsvoll einsetzen können, um eine evidenzbasierte und effiziente Versorgung voranzutreiben. Das Berufsbild des Arztes wird sich entsprechend verändern und neue Kompetenzen erfordern. Dank KI können sich Medizinerinnen und Mediziner dann stärker auf die individuelle Versorgung konzentrieren und ihren Patientinnen und Patienten wieder mehr Zeit und Empathie schenken. So kann die Menschlichkeit in der medizinischen Versorgung sogar durch Technik unterstützt werden.

Was sind nun die Chancen der Digitalisierung im Krankenhaus allgemein?

So groß die Hürden der Digitalisierung auch sind, mit der richtigen Herangehensweise und einem interdisziplinären Team aus Fach- und Technikexperten lassen sie sich meistern. Der Krankenhaus-Report 2023 sieht darin eine Vielzahl von Chancen für das Gesundheitswesen:

  • Prozessoptimierung, zum Beispiel durch Prozessstandardisierung
  • Effizienzsteigerung durch adäquates Ressourcenmanagement, aber auch Kosteneinsparungen beispielsweise durch optimierten Einsatz von IT-Systemen mit reduzierten Lizenz- und Wartungskosten
  • Kompensation des perspektivisch zunehmenden Fachkräftemangels
  • Verbesserung der Versorgungsqualität, insbesondere durch den Einsatz von KI und die Reduktion des Dokumentationsaufwands für das Personal
  • Erhöhung der medizinischen Sicherheit durch Reduktion von Fehldiagnosen, Mehrfachbehandlungen und Arzneimittelinteraktionen
  • Verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten über Patient:innen-Portale, Aufnahme-Apps, Zuhilfenahme von Chatbots, TI-Messenger sowie telemedizinische Anbindung strukturschwacher Regionen
  • Positiver Einfluss auf das Image der Krankenhäuser sowohl aus Sicht der Mitarbeiter:innen als auch aus Sicht der Patient:innen
  • Zukünftige Attraktivität des Arztberufs durch deutliche Entlastung und verbesserte Arbeitsbedingungen durch Telearbeit und veränderte Dienstplangestaltung

Hauptziel dabei sollte es sein, zum Wohle der Patienten und Patientinnen beizutragen und diesen die bestmögliche Versorgung anbieten zu können.

Fazit

Wir stehen in Deutschland erst am Anfang einer umfassenden digitalen Transformation im Gesundheitswesen. Gerade in diesen herausfordernden Zeiten sollten wir die Digitalisierung als Chance begreifen - nicht nur zur Verbesserung, sondern auch zur zukünftigen Sicherstellung der medizinischen Versorgung.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern, Wissenschaft, Industrie und Politik ist unerlässlich, um die digitalen Herausforderungen zu meistern. Für die Krankenhäuser ist es dabei entscheidend, individuelle Digitalisierungsstrategien zu entwickeln, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie des medizinischen Personals berücksichtigen. Durch eine genaue Analyse und Optimierung der Prozesse können ineffiziente Abläufe identifiziert und verbessert werden. Der Einsatz von KI bietet dabei ein enormes Potenzial für die zukünftige Steigerung der Qualität der medizinischen Versorgung. So vielversprechend die Vision einer vollständig digitalisierten Gesundheitsversorgung ist, so weit ist sie noch von der Realität entfernt. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Wir freuen uns darauf, euch auf diesem spannenden Weg mit unserer technologischen und fachlichen Kompetenz zu unterstützen und gemeinsam die Zukunft des Gesundheitswesens zu gestalten. Dabei begleiten wir euch gerne bei einer Vielzahl der in diesem Blog-Beitrag genannten Themen und Prozesse. Unsere Leistungen für das Gesundheitswesen finden sich auf unserer Website.

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Bild Jana Tchertov

Autor Dr. Jana Tchertov

Jana Tchertov ist Ärztin mit ausgeprägter Affinität zu Digitalisierungsthemen in der Medizin. Nach mehrjähriger klinischer Erfahrung in der ambulanten und stationären Patientenversorgung arbeitet sie bei adesso als Consultant für IT-Themen im Bereich Health und somit an der Schnittstelle von Medizin und IT.

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