20. November 2025 von Enrico Köhler
Agentic Payments – Wenn KI-Agenten das Zahlen übernehmen
Ein Auto, das selbst bezahlt. Ein Sprachassistent, der Warenkörbe füllt, Rabatte erkennt und Rechnungen begleicht. Ein digitaler CFO, der Ausgaben analysiert, Liquidität steuert und Zahlungstermine optimiert – ohne menschlichen Eingriff. Was vor wenigen Jahren wie Science-Fiction klang, wird heute zur Realität. Mit dem Aufstieg sogenannter Agentic Payments beginnt eine neue Ära im Zahlungsverkehr: Zahlungen, die sich selbst denken.
Diese Entwicklung ist mehr als nur technologische Spielerei. Sie steht für den Übergang von regelbasierter Automatisierung zu echter Autonomie – ein Wandel, der das Fundament des Finanzwesens neu formt. Während bisherige Systeme nur Befehle ausführen, handeln Agenten eigenständig innerhalb festgelegter Grenzen. Sie erkennen Muster, analysieren Kontextinformationen und treffen Entscheidungen, die traditionell Menschen vorbehalten waren. Der Mensch gibt nur noch das Ziel vor – etwa ein Budget, eine Policy oder einen Rahmen – und überlässt die operative Umsetzung einem digitalen Gegenüber.
Vom Menschen zur Maschine
Das Grundprinzip von Agentic Payments ist die Delegation: Nicht mehr der Mensch löst Transaktionen aus, sondern ein digitaler Agent, der zuvor ein Mandat erhalten hat. Dieses Mandat definiert, was erlaubt ist, wie hoch Limits liegen und in welchem Kontext Entscheidungen getroffen werden dürfen.
Solche Agenten können nicht nur Zahlungen auslösen, sondern ganze Wertschöpfungsketten steuern. Sie erkennen Preisveränderungen, verhandeln automatisch Verträge oder suchen den besten Zahlungsweg über verschiedene Anbieter. Der entscheidende Unterschied zur klassischen Automatisierung liegt in der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die auf situativer Bewertung basieren – also nicht auf „Wenn-Dann-Regeln“, sondern auf Wahrscheinlichkeiten, Erfahrungswerten und Zieloptimierung.
Technologisch ist das Zusammenspiel komplex. Offene APIs ermöglichen den Zugang zu Konten, Verträgen oder Buchhaltungssystemen. Machine-Learning-Modelle verarbeiten die Daten, erkennen Muster und generieren Entscheidungen. Die Transaktion selbst erfolgt dann über bestehende Zahlungsinfrastrukturen wie SEPA Instant, Karten- oder Wallet-Netzwerke, teils auch über Smart Contracts auf Blockchain-Basis. Damit entsteht ein mehrschichtiges System, in dem Intelligenz, Infrastruktur und Vertrauen eng miteinander verflochten sind.
Erste Live-Szenarien und die neue Rolle der Plattformen
Was 2023 noch theoretisch diskutiert wurde, ist inzwischen produktiv. PayPal, Stripe und Mastercard haben in den USA erste Live-Integrationen vorgestellt, bei denen Zahlungen direkt aus KI-Systemen heraus initiiert werden. Nutzende können in ChatGPT Einkäufe tätigen, ohne eine Website zu besuchen oder Zahlungsdaten manuell einzugeben. Der KI-Agent vergleicht Preise, wählt Anbieter und löst anschließend die Transaktion aus.
Technisch geschieht das über neue Protokolle: Google entwickelte mit AP2 (Agent Payment Protocol) einen offenen Standard, Stripe und OpenAI setzen mit dem Agentic Commerce Protocol (ACP) auf Interoperabilität zwischen KI-Systemen und Zahlungsnetzwerken. Anthropic wiederum hat das Model Context Protocol (MCP) etabliert, das Daten und Intentionen zwischen Agenten standardisiert austauscht. Diese Infrastruktur erlaubt es, Zahlungen sicher und nachvollziehbar direkt aus dem Kontext einer KI-Anwendung heraus abzuwickeln.
Parallel dazu experimentieren Visa und Mastercard mit eigenen Frameworks wie dem Trusted Agent Protocol, das die Authentifizierung und Haftung maschineller Akteure regelt. Damit verschiebt sich das Machtzentrum des Zahlungsverkehrs: Weg von Apps und Oberflächen, hin zu intelligenten Schnittstellen, in denen Transaktionen unsichtbar werden – aber überall stattfinden.
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Von Automatisierung zu Autonomie
Der Unterschied zwischen einem automatisierten Prozess und einem autonomen Agenten ist subtil, aber entscheidend. Automatisierung bedeutet, dass Systeme vordefinierte Befehle ausführen – etwa einen Dauerauftrag oder eine monatliche Gehaltszahlung. Autonomie hingegen bedeutet, dass das System selbstständig entscheidet, ob, wann und wie eine Zahlung sinnvoll ist.
Ein Beispiel: Ein Agent erkennt, dass der Preis eines Lieferanten um fünf Prozent gesunken ist. Er prüft, ob der Vertrag angepasst werden kann, verhandelt automatisch neue Konditionen, löst eine geänderte Bestellung aus und bezahlt – alles im Rahmen definierter Vorgaben. Der Mensch erhält nur eine Bestätigung und ein revisionssicheres Protokoll.
In der Industrie 4.0 führen solche Mechanismen bereits zu maschinellen Wertströmen. Sensoren in Produktionsanlagen melden Verschleiß, lösen Bestellungen aus und stoßen Zahlungen an, sobald Ware geliefert oder Dienstleistung erbracht ist. Der Zahlungsprozess wird damit unsichtbar, aber integraler Bestandteil des operativen Geschäfts.
Vertrauen durch „Know Your Agent“
Je autonomer Zahlungen werden, desto wichtiger wird Vertrauen. Es genügt nicht mehr, den Menschen zu identifizieren, der eine Zahlung anstößt – man muss auch die Identität der Maschine kennen, die sie ausführt.
Das neue Prinzip KYA – Know Your Agent ergänzt daher das klassische KYC um eine maschinelle Dimension. Jeder KI-Agent erhält eine eindeutige digitale Identität, die kryptografisch abgesichert ist. Tokenisierung ersetzt sensible Zahlungsdaten, Audit-Trails dokumentieren jede Entscheidung und Governance-Dashboards erlauben es, Mandate, Limits und Berechtigungen zentral zu verwalten.
Visa, Mastercard und Identity-Provider wie Trulioo arbeiten an Zertifizierungsstandards, die sicherstellen, dass nur autorisierte Agenten auf Zahlungsnetzwerke zugreifen dürfen. Damit entsteht ein mehrschichtiges Vertrauenssystem, das technologische Autonomie mit regulatorischer Nachvollziehbarkeit verbindet.
Regulierung zwischen Innovation und Risiko
Rechtlich betreten Agentic Payments Neuland. In der Europäischen Union greifen mehrere Gesetzeswerke ineinander: die PSD3 und Payment Services Regulation, der AI Act sowie die DSGVO. Sie definieren die Spielräume, innerhalb derer KI-Agenten handeln dürfen.
Die offene Haftungsfrage bleibt zentral. Wenn ein Agent einen Fehler macht – etwa eine unautorisierte Zahlung oder eine fehlerhafte Bewertung – stellt sich die Frage, wer verantwortlich ist: der Nutzende, der den Agenten beauftragt hat, der Anbieter der Zahlungsschnittstelle oder der Entwickler des KI-Modells? Die EU-Kommission diskutiert derzeit, ob KI-Agenten als „beaufsichtigte digitale Vertreter“ eingestuft werden sollen, was eine neue Kategorie zwischen Mensch und Maschine schaffen würde.
Hinzu kommen Datenschutzanforderungen. Agenten verarbeiten personenbezogene und finanzielle Daten und müssen dabei DSGVO-konform bleiben. „Privacy by Design“, Echtzeit-Auditierbarkeit und die Pflicht zu erklärbaren Entscheidungen werden zu Compliance-Standards. Die BaFin und die EBA betonen, dass trotz Automatisierung der Mensch in der Verantwortung bleibt – der Grundsatz „Human in the Loop“ soll auch für KI-basierte Zahlungen gelten.
Ökonomisches Potenzial und neue Risiken
Die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten enorm sein. Laut Studien von BCG und McKinsey könnte der weltweite Markt für agentenbasierte Zahlungen bis 2030 ein Volumen von bis zu zwei Billionen US-Dollar erreichen. Mehr als die Hälfte des globalen E-Commerce könnte dann durch autonome Agenten abgewickelt werden.
Für Unternehmen bedeutet dies höhere Effizienz, weniger Reibungspunkte und völlig neue Geschäftsmodelle. Banken könnten Agent-as-a-Service anbieten, um regulatorische Sicherheit zu gewährleisten. Händler könnten Zahlungen vollständig in KI-basierte Einkaufserlebnisse integrieren.
Doch je stärker die Systeme vernetzt sind, desto größer werden die Risiken. Neue Betrugsvektoren entstehen – von manipulativen Prompts bis zu Deepfake-Agenten. Zudem droht eine Machtkonzentration bei wenigen großen Tech-Anbietern, die Protokolle, Schnittstellen und Identitäten kontrollieren. Für europäische Banken ergibt sich daraus die strategische Frage, ob sie aktive Architekten dieses Ökosystems sein wollen – oder bloße Infrastrukturzulieferer.
Branchen im Wandel
Für den Bankensektor ist das Thema doppelt relevant: technisch und strategisch. Banken verlieren zunehmend den direkten Kontakt zu Endkundinnen und -kunden, weil KI-Agenten die Interaktion übernehmen. Gleichzeitig können sie sich als Trust Layer neu positionieren – also als Anbieter von Haftung, Auditierbarkeit und regulatorischer Sicherheit.
Unternehmen profitieren ebenfalls. Im B2B-Bereich lassen sich komplexe Prozesse wie „Procure-to-Pay“ oder „Order-to-Cash“ durch Agenten vollständig automatisieren. Sie erkennen offene Posten, priorisieren Zahlungen und nutzen Skonti in Echtzeit. Für Treasury-Abteilungen eröffnet das die Möglichkeit, Liquidität granular zu steuern. Versicherer wiederum testen Modelle, bei denen KI-Agenten Schadensmeldungen prüfen, Bilddaten auswerten und Zahlungen sofort auslösen – Sekunden statt Tage.
Herausforderungen und der Weg nach vorn
Trotz aller Fortschritte bleiben zentrale Herausforderungen. Die technische Integration ist aufwendig, viele Kernbanksysteme sind noch nicht API-fähig genug. Auch fehlt ein gemeinsamer europäischer Regulierungsrahmen, der Haftung, Oversight und Transparenz verbindlich festlegt. Darüber hinaus stellt sich die ethische Frage: Wie viel Kontrolle ist der Mensch bereit abzugeben? Vertrauen entsteht nicht allein durch Technologie, sondern durch Nachvollziehbarkeit. Nutzende müssen verstehen, warum ein Agent eine Entscheidung getroffen hat und die Möglichkeit haben, sie zu widerrufen.
Für Unternehmen, Banken und Payment-Provider bedeutet das: Die Einführung von Agentic Payments ist weniger ein IT-Projekt als eine Governance-Aufgabe. Sie erfordert neue Formen von Aufsicht, Audit und Verantwortung.
Fazit: Vertrauen ist die neue Währung
Agentic Payments sind kein ferner Zukunftstrend, sondern die logische Fortsetzung von Open Banking, Instant Payments und Embedded Finance. Sie machen Zahlungen unsichtbar, aber zugleich allgegenwärtig. Der Mensch verschwindet nicht aus dem Prozess – er rückt auf eine höhere Ebene: vom Ausführenden zum Gestalter.
Wer heute beginnt, API-Architekturen zu öffnen, Datenqualität zu sichern und Governance-Strukturen aufzubauen, wird morgen die Richtung bestimmen. Denn die Frage lautet nicht mehr, ob Maschinen zahlen dürfen – sondern, wem wir zutrauen, dass sie es richtig tun.
Wir unterstützen euch!
adesso begleitet Banken, Zahlungsdienstleister und Unternehmen auf diesem Weg – von der API-Strategie über KYA-Frameworks bis zur sicheren Integration agentenbasierter Systeme in bestehende Infrastrukturen. Gemeinsam gestalten wir den Übergang von Automatisierung zu Autonomie – verantwortungsvoll, transparent und zukunftssicher.